Die Zukunft der Pflege – zwischen Markt und Daseinsvorsorge

Podium "Zukunft der Pflege"

Wie sieht die Zukunft der Pflege zwischen Markt und Daseinsvorsorge in Deutschland aus? Dieser Frage ging der Grüne Salon Düsseldorf, gemeinsam mit seinen Gästen und dem Publikum, am 28. September im Heinrich-Heine Institut nach.

Pflege ist ein Thema, welches uns alle betrifft und uns in Zukunft noch stärker begleiten wird. Immer mehr Menschen werden hierzulande immer älter. Das ist erfreulich, allerdings nehmen im Alter auch Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit zu. In NRW lebten 2014 541.000 Menschen, die älter als 85 Jahre sind. Die Prognose für 2030 liegt bei 702.000 Menschen. Schon heute wird ein Großteil der Pflege von privaten Anbietern geleistet. Die zentralen Fragen sind aber: Ist hochwertige Pflege unter marktwirtschaftlichen Bedingungen möglich? Bedeutet Wettbewerb auch die beste Qualität? Und welche politischen Rahmenbedingungen bedarf es, um Qualität und die Orientierung an den Bedürfnissen pflegebedürftiger Menschen sicherzustellen?

Der Einladung des Salons gefolgt sind Barbara Steffens (zuständige Landesministerin u.a. für Gesundheit, Pflege und Alter), Dirk Ruiss (Verband der Ersatzkrankenkassen), Dr. Manfred Stegger (Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen e.V, BIVA) und Hermann Josef Thiel (Terranus-Gruppe). Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Maria Icking, ehemaliges Vorstandsmitglied der Heinrich Böll Stiftung NRW.

Es war ein sehr spannender Abend mit einer vielschichtigen Diskussion. Erstaunlich schnell wurde Einigkeit darüber erzielt, dass eine Orientierung am Markt viele positive Entwicklungen gebracht hat. So sei die vorhandene Pflegeinfrastruktur auch deswegen vorhanden, weil hier privates Kapital eingesetzt wurde. Allerdings könne der Pflegebereich nicht mit denselben Maßstäben betrachtet werden, wie jeder anderer Wirtschaftszweig, sondern stehe der Staat in einer besonderen Verantwortung. Die pflegebedürftigen Menschen sind keine „normalen“ Kunden oder Verbraucher, sondern Schutzbedürftige, auch weil der Einzug in ein Pflegeheim meist keine freie Entscheidung mehr ist. Große Systeme, wie der Bereich der Pflege, brauchen demnach marktwirtschaftliche Elemente. Allerdings bedarf es gleichzeitig klarer politischer Rahmenbedingungen. Viele dieser Rahmenbedingungen werden allerdings vom Bund gesetzt.

Die Einführung der Pflegenoten, ein System, das mehr Transparenz bei der Qualitätsbeurteilung der Pflegeanbieter ermöglichen soll, wird von allen Diskutant*innen als wichtiger Schritt für mehr Markttransparenz gewertet. Allerdings wird die Umsetzung als zu wenig aussagekräftig kritisiert. Herr Ruiss macht deutlich, dass die Einführung dennoch ein wichtiger Schritt war, um die Debatte um die Pflegequalität überhaupt nachhaltig anzustoßen.

Unumstritten war auch, dass sich die Wünsche der Pflegebedürftigen wandeln. So würden sich die Menschen zunehmend wünschen, in ihren eigenen vier Wänden und in der Familie oder im Wohnquartier alt werden zu können. Dadurch werden die Menschen, die am Lebensende in ein Pflegeheim wechseln (müssen), immer älter und die Verweildauer in Pflegeheimen immer kürzer (2014 durchschnittlich 27 Monate). Die Ministerin zieht hieraus die Konsequenz, die Priorität auf den Ausbau des ambulanten Sektors sowie der Präventions- und Quartiersarbeit zu legen. Dass sich das System wandeln muss, sei unumgänglich und liege im steigenden Bedarf und den geringer werdenden Ressourcen begründet.

Dass es dennoch wichtig sei sicherzustellen, dass der Markt für private Anbieter attraktiv bleibe und Kapital im Markt gesichert werde, hebt Herr Thiel hervor. Ein kontroverser Punkt, der in diesem Zusammenhang diskutiert wird, ist das Urteil des Bundessozialgerichts, nachdem Pflegheime ihre Rendite nur über die Angebote, nicht aber über ihre Immobilen machen dürfen.

Uneinigkeit zeigte sich auch hinsichtlich der Frage, wo die Interessen der Pflegebedürftigen bleiben, wenn Leistungsträger*innen sich an Renditen und Kennzahlen orientieren. Herr Stegger von der BIVA hebt diesbezüglich kritisch hervor, dass Zweidrittel der älteren Menschen lieber sterben würden als in einem Pflegeheim zu leben und schließt daraus, dass im gegenwärtigen System einiges schief laufen muss. Drei Hauptpunkte kritisiert er: Die Pflegebedürftigen seien nicht souverän, sondern befinden sich in einem Abhängigkeitsverhältnis: Pflegeheimbetreibende wüssten, dass Bewohner, die erst einmal eingezogen sind, das Heim in der Regel nicht mehr wechseln. Dies bringe die Heime in eine Machtposition. Zum anderen gäbe es nicht genügend Markttransparenz und sei die kollektive Interessenvertretung in einer schwachen Position, was exemplarisch an der Abhängigkeit vieler Heimbeiräte von den Heimleitungen deutlich werde. Es fehle die Repräsentation dieser Gruppe, denn Entscheidungen werden vor allem durch die Anbieter und die Kassen bestimmt. Ministerin Steffens führt in diesem Zusammenhang kritisch an, dass die vollzogenen Optimierungsprozesse in Krankenhäusern und Pflegeheimen nicht immer auch zu einem verbesserten Outcome in der Qualität geführt haben.

Der Generalverdacht gegen privat betriebene Pflegeheime wird auf dem Podium aber von allen Diskutierenden abgelehnt. So würden keine grundsätzlichen Qualitätsunterschiede zwischen kommunal, frei gemeinnützig oder privat getragenen Häusern existieren. Herr Thiel weist Richtung Ende der Diskussion zudem noch einmal darauf hin, dass nicht vernachlässigt werden dürfe, dass die Pflegereform private Anbieter auch vor große Herausforderungen stelle. Aus dem Publikum folgte Zustimmung. Es wird die Sicht eines kleinen ambulanten Pflegedienstes geschildert, der große Schwierigkeiten hat, mit den gesetzten Rahmenbedingungen zurecht zu kommen und sich den großen Pflegekassen machtlos gegenübersieht sowie die Meinungen eines Pflegeheimbetreibers vorgetragen, der davor warnt, dass Pflegeheime mehr und mehr zu einer Risikoinvestition werden.

Abschließend lässt sich festhalten, dass in diesem Grünen Salon nicht nur über das Verhältnis von Markt und Staat diskutiert wurde, sondern auch über eine angemessene Vertretung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen, über das Verhältnis von ambulanter und stationärer Pflege, die Brauchbarkeit der Pflegenoten und die Herausforderungen, den sich Pflegeheime stellen müssen, wenn sie immer mehr zu einem Hospiz werden.