Böll befragt ... Manfred Beck (5|17)

Tipp vorab: Manfred Beck gestaltet unsere VEranstaltung "BNE in Kommunen" mit !  Wer sich persönlich Tipps und Informationen zum Thema Bildung für nachhalige Entwicklung anhören möchte, ist herzlich eingeladen! Mehr Informationen gibt' hier.

Herr Dr. Beck,  „Global denken – lokal handeln“: Nicht selten trifft man auf dieses Motto, sobald das Thema Nachhaltigkeit thematisiert wird. Wieso ist aus Ihrer Sicht als ehemaliger Stadtdirektor und Beigeordneter für Kultur, Bildung, Jugend, Sport und Integration der Stadt Gelsenkirchen ein Bottom-Up Ansatz wichtig oder gar notwendig?

Dieses Motto der Agenda 21-Bewegung fußte auf der Erkenntnis, dass es zwar notwendig ist, auf der Ebene der Vereinten Nationen Vereinbarungen zur Retttung des Planeten zu treffen, diese aber nur umgesetzt werden können, wenn sie kommunales Handeln, also Agieren im Lebensumfeld der Menschen, nach sich ziehen. Deshalb wurden mit diesem Motto alle Kommunen der 178 Unterzeichnerländer aufgerufen, eine eigene lokale Agenda 21 zu erarbeiten.
Ich bin allerdings der Meinung, dass wir auf allen Ebenen staatlichen Handelns unter Einbezug der Zivilgesellschaft an einem Strang ziehen müssen. Die inzwischen von den Mitgliedsstaaten der UN verabschiedete Agenda 2030 benennt 17 Ziele einer nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs). Ihre Umsetzung erfordert nationale Konzepte (in Deutschland existiert seit 2002 eine Nachhaltigkeitsstrategie), in föderalen Staaten Konzepte auf Länderebene (in NRW 2016 verabschiedet) und Maßnahmenbündel auf kommunaler Ebene (rd. 2.600 Kommunen in Deutschland haben sich der Agenda 21 angeschlossen). Es bedarf aber auch der Mitwirkung zivilgesellschaftlicher Akteure aus verschiedenen Bereichen.

Das Motto ist also aktueller denn je! Für mich ist es jedoch kein reiner Bottom-Up-Ansatz, sondern eher ein Gegenstromprinzip: Bottom-Up und Top-Down müssen idealerweise gemeinsam funktionieren. 

Sie sprachen bereits unter anderem die lokale Agenda 21 an: Welche Rolle spielen in der Vermittlung nachhaltiger Kompetenzen für Sie die Kommunen? Reicht schulisches Lernen (noch) nicht aus?

Sowohl die Vereinten Nationen als auch die Bundesregierung und einige Bundesländer sind der Meinung, dass Bildungsprozesse eine wesentliche Voraussetzung zur Umsetzung der SDGs darstellen.

Deshalb hat die UNESCO nach dem Ende der UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE, international Education For Sustainable Development – ESD) ein Weltaktionsprogramm ESD verabschiedet. Die Bundesregierung hat eine nationale Plattform aus Akteuren aller relevanten Strukturen, Institutionen und Organisationen einberufen, die noch vor den Sommerferien einen nationalen Aktionsplan verabschieden wird. Das Land NRW hat 2016 eine eigene BNE-Strategie beschlossen. Gemeinsam ist dem Bundes- und dem NRW-Ansatz, dass neben den Bildungsbereichen (frühkindliche Bildung, Schule, berufliche Bildung, Hochschule, non-formale/informelle Bildung) auch die Kommunen ein zentrales Handlungsfeld darstellen.
Die Kommunen sind außerhalb der Schule (unter Beachtung staatlicher Rahmenvorgaben) für alle Bildungsbereiche verantwortlich. Aber auch im Feld Schule ist die frühere Trennung von „inneren“ (z.B. Curricula) und „äußeren“ Schulangelegenheiten (z.B. Schulgebäude) weitgehend überwunden. In NRW wird in staatlich-kommunaler Verantwortungsgemeinschaft in regionalen Bildungsnetzwerken die lokale Bildungslandschaft gestaltet. Dass dies inzwischen vernetzt passiert, kann man z.B. an der Zusammensetzung der Steuerungsgruppe des regionalen Bildungsnetzwerkes in Gelsenkirchen ablesen, wo neben Schulaufsicht und Schulvertreter*innen der Kita-Bereich, die VHS, die Freien Träger sowie Schüler*innen- und Elternschaft vertreten sind.

Kompetenzen für nachhaltige Entwicklung kann nicht Schule allein vermitteln, sondern müssen in kommunalen Netzwerken entwickelt werden.

Gelsenkirchen gilt mit Blick auf den BNE-Einsatz als Vorzeigebeispiel. Aber wie kann ich auch  in meiner eigenen Kommune dazu beitragen dieses Denken stärker zu implementieren?

Es gilt zunächst festzustellen, was an BNE-Aktivitäten oder gar Netzwerken vor Ort bereits existiert. Diese Ansätze sollten gefördert und gebündelt werden. Im Idealfall wird BNE in Verwaltungsstrukturen verankert.
In Gelsenkirchen hat der Prozess rund 20 Jahre gedauert. BNE-Projektförderungen, Ratsbeschlüsse, Netzwerke wie die KreativWerkstatt, ein BNE-Fachbereich an der VHS und eine Stabsstelle im Vorstandsbereich Kultur, Bildung, Jugend, Sport und Integration sind in diesen Jahren entstanden. Dies soll künftig schneller geschehen können. Es bedarf einer Beratungsinstanz, die dabei hilft, eine Kommune schrittweise weiter zu entwickeln. Es bedarf auch finanzieller Anreize sowie Fort- und Weiterbildung für Kommunalverwaltungen und Kommunalpolitik. Neben Bund und Ländern ziehen bei dieser Entwicklung auch die kommunalen Spitzenverbände mit.

Gibt es bereits Netzwerke, die Unterstützung bieten? Denn sobald eine Umstrukturierung mit Kosten verbunden ist, ist die Umsetzung besonders mit einem knappen Haushalt oftmals schwierig.

BNE gehört trotz der existenziellen Bedeutung für unseren Planeten (noch?) nicht zu den Pflichtaufgaben der Kommunen. Von daher müssen alle kommunalen BNE-Ausgaben in Gemeinden mit Haushaltsproblemen in den genehmigten Teil der „freiwilligen“ Leistungen integriert werden. Hilfreich sind natürlich Drittmittelförderungen des Staates, der Wirtschaft oder von Stiftungen bei der Überzeugungsarbeit in Räten und gegenüber Aufsichtsbehörden. Gelsenkirchen erregt ja nicht nur Interesse wegen der Qualität unserer BNE-Arbeit, sondern auch, weil wir zu den finanzschwächeren Kommunen im Stärkungspakt gehören. In Gelsenkirchen ist inzwischen unstrittig, dass BNE zu den Imagefaktoren der Stadt gehört.

Übrigens sind herausragende BNE-Aktivitäten nicht nur unabhängig von der finanziellen Lage einer Kommune, sondern auch von der Gemeindegröße: Neben Metropolen wie Hamburg, München und Frankfurt, kleineren Großstädten wie Erfurt, Nürnberg oder Gelsenkirchen, gehören auch kleine Gemeinden wie Hetlingen in Schleswig-Holstein oder Alheim in Nordhessen zum Kreis der BNE-Kommunen.
Unterstützung erhält man in NRW über die BNE-Agentur des Landes, die bei der Natur und Umweltschutz Akademie in Recklinghausen angesiedelt ist, oder bei der LAG 21 NRW in Dortmund. Viele interessante Informationen und Kontakte sind über das BNE-Portal von Bundesregierung und Deutscher UNESCO-Kommission zu erreichen.

Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: Welche Wünsche hegen Sie für die nächsten 10 Jahre mit Blick auf die nachhaltige Gestaltung von NRWs Kommunen?

Ich würde mir wünschen, dass sich in 10 Jahren die Räte und Kreistage aller NRW-Kommunen den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung (SDGs) verpflichtet haben und nachhaltige Entwicklung in allen Feldern kommunalen Handelns den Maßstab für Entscheidungen bildet.

Dazu bedarf es der Implementierung von BNE, um bei allen relevanten Akteuren die Voraussetzungen dafür zu schaffen.
Ich wünsche mir ferner, dass es bessere Fördermöglichkeiten für BNE-Projekte und Netzwerke gibt. Dieses Thema muss stärker in den Fokus von staatlicher Förderung, Wirtschaft und Stiftungen rücken.
Und schließlich wünsche ich mir, dass die Heinrich Böll Stiftung NRW regelmäßig Fortbildungen für zivilgesellschaftliche Akteure und Kommunalpolitik anbietet, die völlig überlaufen sind ... ;)