Böll befragt ... Martin Giesler (11|17)

Lieber Martin, du bist Kulturanthropologe, Journalist und Blogger. Worüber bloggst du – und warum? 

Ich beschäftige mich seit Jahren mit dem digitalen Wandel. Vor allem interessieren mich die Konsequenzen, die sich aus dem Siegeszug von Facebook und Co für Gesellschaft, Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ergeben. Vor vier Jahren habe ich deshalb das Social Media Watchblog gegründet. Mit unserem Blog, respektive unserem Newsletter, informieren wir täglich Tausende Kollegen über die wichtigsten News und Debatten rund um das Thema Social Media - so müssen die Kollegen nicht selbst andauernd „on“ sein, haben aber stets alle wichtigen Themen im Blick. 

Menschen, die deinen Blog das erste Mal besuchen, empfiehlst du zunächst deine 99 Gedanken zur weiteren Entwicklung von Social Media und Journalismus zu lesen. Das habe ich gemacht. Besonders spannend fand ich Punkt 88 „Medienkompetenz wird Bürgerpflicht“.  Was hat es mit diesem Gedanken auf sich?

Facebook gibt es seit dreizehn Jahren. Twitter seit elf, Instagram seit sieben und Snapchat gerade erst seit sechs Jahren. All diese Plattformen haben die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren und wie wir uns informieren, grundlegend und nachhaltig verändert. Wir beginnen aber erst sehr langsam zu verstehen, was dies für uns als Gesellschaft insgesamt und vor allem für jeden einzelnen Nutzer bedeutet. Die technologischen Möglichkeiten bieten uns viele Chancen, ohne jede Frage. Sie erfordern aber auch eine gehörige Portion Wissen um die Kosten und potentiell auch negativen Folgen, die sich aus ihrer Nutzung ergeben. In der Aufklärung und Schulung hinsichtlich der Wirkmechanismen dieser Apps besteht für mich eine zentrale Aufgabe unserer Zeit. 

Ich kenne einige Leute, die Nachrichten ausschließlich über Facebook konsumieren. Um ehrlich zu sein  ertappe ich mich selbst nicht selten auch dabei, kurz einmal durch die sozialen Medien zu scrollen, um mir ein „Update“ zu verschaffen. Wohin führt dieser Trend deiner Meinung nach mit Blick auf die Entwicklung journalistischer Arbeit?

Das Mobiltelefon ist das zentrale Werkzeug geworden, um ins Internet zu gehen. Allerdings geht die absolute Mehrheit der Nutzer auf dem Mobiltelefon nicht frei und selbstbestimmt ins Internet, sondern via App in das begrenzte Internet von Facebook, Twitter oder etwa Instagram. Damit journalistische Anbieter noch vom Nutzer mit ihren Nachrichten und Angeboten wahrgenommen werden, müssen sie zwangsläufig ebenfalls in diesen Apps zugegen sein. Allerdings geht dies nur zu den Bedingungen, die von den Plattformen vorgegeben werden. Wer mit seinen Inhalten etwa auf Facebook wirklich beim Publikum landen möchte, muss sich strikt an die Spielregeln halten, die von Facebook hinsichtlich ihrer ganz eigenen Logik der Aufmerksamkeitsökonomie gestaltet wurden. Je nachdem wie abhängig der journalistische Anbieter von Facebook ist, muss er somit womöglich journalistische Haltung und Tugend zugunsten der Spielregeln von Facebook aufgeben. Das mag kurzfristig, wirtschaftlich Sinn ergeben, schadet aber mittelfristig der journalistischen Marke und dem demokratischen Diskurs.

Stichwort fake news (falls dieser Begriff nicht bereits zu inflationär gebraucht worden ist): Wie kann ich umgehen mit  Mitbürger*innen, die zum einen medienblind durch die Welt laufen und anderen, die sich von Lügen umgeben sehen?

Zunächst einmal ist es wichtig zu erkennen, dass Social Media Plattformen durchaus dazu beitragen, dass Nutzer mit einer größeren Bandbreite an Informationsanbietern konfrontiert werden. Die Nutzung führt also nicht per se zu einer Eindämmung von Meinungsvielfalt. Sehr wohl laden die Plattformen aber dennoch dazu ein, Nutzern in großer Mehrheit das zu präsentieren, was sie in ihrer Meinung nicht herausfordert, sondern eher bestätigt. Nur so stellen die Plattform-Anbieter sicher, dass die Nutzer maximal viel Zeit in der jeweiligen App verbringen. Es ist aber im Interesse einer informierten Öffentlichkeit, dass sich jeder Bürger für eine Annäherung an die Wahrheit einsetzt. Wir werden uns daher künftig wohl noch viel stärker als redaktionelle Gesellschaft verstehen und jeweils selbst als eine Art Redakteur für das eigenen Umfeld fungieren.

Am 13. November diskutierst du bei "Wirklich wahr...?" zum Thema Medienvertrauen in Düsseldorf. Wie lautet der Satz, der neugierig auf deinen Beitrag macht und mich vom Besuch der Diskussion überzeugt?

Software frisst die Welt, Facebook den Journalismus: Es ist Zeit, dass Journalist*innen sich aus ihrer Abhängigkeit wieder befreien.