Böll befragt ... Hans-Gerd Nottenbohm (6|18)

Das Bild zeigt einen lächelnden Mann mit grauer Baskenmütze, Brille und grauem Schnurrbart. Es zeigt Hans-Gerd Nottenbohm.

Lieber Herr Nottenbohm, Gemeinschaftsgärten, Künstlerkollektive oder Co-Working Spaces: Der Wunsch, sich mit Gleichgesinnten für Projekte und Lebensformen zusammenzuschließen, scheint so gefragt wie schon lange nicht mehr. Und trotzdem: Den Begriff „Genossenschaft“ höre ich dabei vergleichsweise selten. Liegt all diesen Ideen nicht genau ebenjener Gedanke zu Grunde?

Obwohl ich den Begriff Genossenschaft „die Leistung eines gemeinschaftlichen Betriebes genießen“ zutreffend finde, muss ich zugeben, dass das Wort nicht zu den angesagten Wörtern zählt. Der synonyme Begriff Kooperative, der auch in anderen Sprachen gebräuchlicher ist, ist da schon beliebter. Aber es kommt mir nicht auf Begriffe an, sondern darauf, damit Konzepte, anstelle an der Kapitalrendite orientiert zu wirtschaften, die Produkte und Leistungen eines gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes in den Mittelpunkt zu stellen.

Sie engagieren sich für die „Förderung des Genossenschaftsgedankens“. Wieso profitieren Ihrer Meinung nach auch andere Unternehmen von diesem Grundprinzip?

Dass sich eigenständige Unternehmen zu einer Genossenschaft mit einem gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zusammenschließen, ist ein typischer Ansatz in der Geschichte deutscher Genossenschaften. Winzer, Milchbauer, Ärzte, Taxifahrer, Steuerberater, Einzelhändler, Domainhoster usw. haben die Vorteile der Kooperation, um sich am Markt zu behaupten, erkannt. Heute entstehen auch Kooperationen von wirtschaftlich leicht verletzbaren Unternehmen wie Soloselbstständige, sozialer Dienstleister usw.

Am 29./30. Juni findet eine zweitägige Veranstaltung rund um das Gemeinschaftsthema im Union Gewerbehof statt. Was macht diesen Ort so besonders?

Im Union Gewerbehof finden sich fast 100 kleine Unternehmen zusammen. Viele dieser Unternehmen sind Soloselbstständige. Insgesamt arbeiten dort rund 250 Menschen. Gemeinschaftlich haben sie für sich einen Standort geschaffen, der für sie finanziell günstig ist und Leistungen bietet, die sie alleine nicht finanzieren könnten.

Sie nehmen teil an der Podiumsdiskussion, die die Frage „Solidarisch und Urban: Ein Weg für Idealisten oder eine Antwort für ein neues Gemeinwesen?“ in den Mittelpunkt stellt. Mit welchem Satz würden Sie neugierig auf Ihre Antwort machen?

Solidarisch Wirtschaften ist nicht nur was für Idealisten, sondern kann ein wirtschaftlich erfolgreicher Weg sein, der nicht nur den Mitgliedern z.B. von Wohnungsgenossenschaften oder den Selbstständigen im Union Gewerbehof nutzt. Wenn solidarisch Wirtschaften eine gewisse wirtschaftliche Bedeutung erzielt, hat es auch Effekte für nicht Mitglieder, z. B. in Richtung moderate Mieten im Stadtteil. Somit können Genossenschaften auch das Gemeinwesen, zu dem sie gehören, mitgestalten.