Böll befragt ... Nyke Slawik (12|16)

Liebe Nyke, vor ein paar Tagen las ich im Grundsatzprogramm der Grünen Jugend NRW (GJ NRW) und stieß auf folgenden Satz: „Wir brauchen den Feminismus immer noch und wir wollen ihn queerfeministisch!“ Könntest Du mir als Teil der GJ erläutern, was hinter der Begrifflichkeit queerfeministisch steckt?

Gerne! Der Queerfeminismus bildet eine der Säulen unserer gesellschaftspolitischen Positionierung. Er setzt sich zusammen aus den Zielen der Frauenbewegung und der Freiheitsbewegung schwuler, lesbischer, bisexueller, trans- & und intergeschlechtlicher sowie anderer queerer Menschen.
„Queer“ kommt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie „schräg“. Ursprünglich wurde das als Beleidigung genutzt für alle Menschen, die nicht heterosexuell sind, die man nämlich „straight“ (z. dt. „gerade) nennt. Heute benutzen wir den Begriff selbstbewusst für alle, die nicht heterosexuell und/oder cis-geschlechtlich* sind. Uns eint das nach wie vor gepredigte Bild gesellschaftlicher Normalität, das davon ausgeht, dass alle Menschen heterosexuell seien und sich im Geschlecht wohlfühlen müssen, das sie bei ihrer Geburt zugewiesen bekommen haben.
Wie kommen jetzt „Queer“ und der „Feminismus“ zusammen? Die beiden Bewegungen sind ja nicht immer Hand in Hand gegangen. Der klassische Feminismus, so wie ihn viele vor Augen haben, hat sich in den 70er und 80er Jahren vor allem um die Gleichberechtigung heterosexueller Frauen gekümmert. Lesben, bisexuelle und Transfrauen sind da außen vor geblieben und in vielen feministischen Communities nicht akzeptiert gewesen.
Beim Queerfeminismus gehen wir da weiter, beschäftigen uns mit Mehrfachdiskriminierungen und versuchen alle Menschen zu unterstützen, die nicht in die patriarchalen Idealvorstellungen von Männlichkeit, Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit hineinpassen. Dass gesellschaftliche Führungspositionen noch immer überwiegend von heterosexuellen Männern dominiert werden, ist ein Zustand, den wir überwinden wollen.

*cis(-geschlechtlich) bezeichnet alle Menschen, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Cis ist der Gegenbegriff zu Trans. Alle, die nicht trans sind, sind also cis.

Queere Ansätze hinterfragen also die Grundlage, auf welcher geschlechtliche Diskriminierung überhaupt erst erfolgen kann. Inwieweit bestimmt diese Einstellung deine persönliche politische Agenda mit?

Unsere Gesellschaft hat eine gewisse Vorstellung von Normalität: Heterosexuell, Mann oder Frau. Von Konservativen wird das oft mit einer „naturgegebenen Ordnung“ gerechtfertigt, obwohl alleine schon das landläufige Konzept von Geschlecht unterkomplex ist. Geschlechtlichkeit setzt sich aus so vielen Facetten zusammen. Da spielen nicht nur Hormone, Chromosomen und Genitalien eine Rolle, auch wie ich mich präsentiere und verhalte trägt zu unserem Bild von Geschlechtlichkeit bei. Bei vielen Menschen sind nicht alle diese Merkmale eindeutig nur männlich oder weiblich ausgeprägt.
Alle, die davon abweichen, müssen sich mit viel Ablehnung – im schlimmsten Fall sogar Gewalt – herumschlagen. Das Ausmaß wird oft heruntergespielt oder sogar komplett unsichtbar gemacht. Statistiken über queerphobe Straftaten sind schwierig zu zitieren, weil sie in den Polizeistatistiken nicht oder nur selten gesondert aufgelistet werden. 2014 zählte das schwule Anti-Gewalt Projekt Maneo allein in Berlin 225 Übergriffe mit homo- oder transphobem Hintergrund. Vor diesem Hintergrund macht mir die aufgeheizte politische Lage große Sorgen. Es gibt Berichte aus den USA und Großbritannien, dass nach Trump und Brexit dort nicht nur rassistische Vorfälle, sondern queerphobe Gewalt zugenommen haben.
Ich bin mit dem klaren Anspruch für die Wahl angetreten auf diese Probleme aufmerksam zu machen und mich für mehr Akzeptanz einzusetzen.

Fühlst Du Dich als bekennende Trans*-Frau in der politischen Öffentlichkeit mehr auf Deine Identität, als auf Deine inhaltlichen Forderungen reduziert – bzw. können/sollen/dürfen diese Punkte auseinandergehalten werden?

Ich glaube, dass es wichtig ist politische Ziele mit persönlichen Geschichten zu verknüpfen. Das ist es, was Überzeugungen authentisch macht. Vorurteile und Ablehnungen gegenüber Minderheiten bekämpft man am besten dadurch, dass man Barrieren und Berührungsängste abbaut, indem man zeigt: Wir reden hier nicht über abstrakte Theorie, sondern über Probleme, die Mitmenschen ganz konkret in ihrem Leben betreffen.
Natürlich gab es schon den Vorwurf, ich sei nur aufgrund meiner Identität als Transfrau für die Landtagswahl nominiert worden. Fakt ist, dass vielen Parteimitgliedern das erst bei meiner Dankesrede bewusstgeworden ist und ich seit Jahren junggrüne Politik mache.
Ein wenig mulmig wird mir schon, wenn ich an das aufgeheizte gesellschaftliche Klima denke. Aber gerade deswegen war es mir wichtig mit meiner eigenen Identität präsent zu sein, um Menschen Mut zu machen und für den Kampf gegen die Rolle rückwärts zu gewinnen, die Rechtspopulist*innen anstreben. Wir wollen die Uhr in Gleichstellungsfragen nicht zurückdrehen, sondern weiter vorangehen, weil noch lange nicht alle Anerkennungskämpfe ausgefochten sind.

Blicken wir einmal auf eine aktuelle Debatte, die sich kurz gesagt mit queer*phoben Äußerungen auseinandersetzt: Die Forderung einiger Bundespolitiker*innen nach der Abschaffung des Gebrauchs der politischen Korrektheit in der öffentlichen Kommunikation. Was sagt die Queerfeministin in Dir zu solchen Vorschlägen?

Im Studium habe ich meinen Schwerpunkt auf die Sprachwissenschaft gelegt, weswegen ich viel nachgedacht habe über den derzeitigen Sprachwandel in der öffentlichen Kommunikation. Grundsätzlich finde ich es wichtig, dass wir die Art unserer politischen Kommunikation überdenken müssen. Gerade wir GRÜNE haben einen besonders hohen Anteil an Akademiker*innen unter unseren Mitgliedern, da neigt man schnell dazu sich Themen auf sehr theoretisch-fachlicher Ebene zu nähern. Um sich das nötige Wissen anzueignen, ist das zunächst einmal gut. Wenn politische Botschaften aber möglichst viele Menschen erreichen sollen, ist das weniger gut. Wenn in einer Pressemitteilung jedes zweite Wort ein lateinisches Fremdwort ist, läuft da etwas falsch. Einer unter vielen Grund, warum derzeit der Populismus so viele Menschen ansprichst, ist auch, dass sich Trump, Petry & Co. nicht nur simpler Botschaften, sondern auch leichtverständlicher Sprache bedienen.
Die Queerfeministin in mir weiß aber auch, dass Sprache immer ein Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse ist. Für benachteiligte Gruppen ist es sehr schwer darauf aufmerksam zu machen, dass manche sprachlichen Ausdrucksweisen beleidigend oder diskriminierend sind. Das ist insbesondere der Fall, wenn die betroffene Gruppe selbst nicht Teil der öffentlichen Kommunikation ist, d.h. über sie in Abwesenheit gesprochen wird. Über Trans*menschen wird oft sehr abfällig gesprochen und geschrieben, was ich und andere Betroffene als verletzend empfinden. Gerade deswegen finde ich den Begriff der „political correctness“ irreführend. Nicht nur weil er vor allem von Rechten gebraucht wird, sondern weil es ja eigentlich nur darum geht ohne Beleidigungen und Abwertung über Menschen zu sprechen und ihnen Mitgefühl und Verständnis entgegenzubringen. Letztlich hat das auch sehr viel mit Anstand zu tun, weswegen ich die Ablehnung politischer Korrektheit gerade von konservativer Seite als sehr irritierend empfinde.

Zu guter Letzt: Wenn ich mich nun im Bereich des Queerfeminismus hier in NRW engagieren möchte, wo fange ich am besten an?

Es gibt viele Möglichkeiten aktiv zu werden, dabei kommt es auf die eigenen Schwerpunkte an. Queerfeminismus ist ja ein weites Feld. In vielen Städten gibt es aktivistische Frauengruppen oder queere Gruppen. Für Jugendliche können queere Jugendgruppen- und treffs ein guter Anlaufpunkt sein. Transgruppen gibt es auch in den allermeisten NRW-Großstädten und Trans-Jugendgruppen in den meisten Ballungsräumen. Als größter Interessens- und Lobbyverband für die Belange queerer Menschen gibt es den LSVD. Wer es parteipolitisch mag, dem kann ich natürlich die GRÜNEN als die queere Partei Deutschlands wärmstens empfehlen. Nicht nur haben wir sehr viele queere Mitglieder, wir sind mit queeren Abgeordneten in allen Parlamenten – sowohl auf Landes-, Bundes-, als auch auf Europaebene vertreten.