Heinrich III: Laudatio zur Verleihung

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Wenn man als immer noch gefühlter Ost-Westfale die Ehre und Freude hat, den diesjährigen „Heinrich“ zu vergeben, dann denkt man natürlich zuerst an den ostwestfälischen „Hermann“. Hermann, der Etrusker – streitbar und dickköpfig und vor allem mutig. Diese Eigenschaften passen gut zu der Initiative, die wir heute ehren: das Freibad am See aus Wetter. Auch sie hat mutig, entschlossen und mit einer gehörigen Portion Dickköpfigkeit durchgesetzt, dass das Freibad am See in Wetter als Angebot für die Bevölkerung erhalten bleibt und sogar deutlich verbessert wurde. Aber wir verleihen heute ja nicht einen „Hermann“, sondern den dritten „Heinrich“. Und dieser Heinrich ist der Vorname von Heinrich Böll, dem Namensgeber unserer Heinrich Böll Stiftung, die ich vor über zwanzig Jahren mit auf den Weg bringen durfte.

Der Heinrich – dass hört sich nicht zu schwer an wie etwa ein „Heinrich-Böll-Preis“. Aber er knüpft ebenfalls an Tugenden an, die ich eben ansprach: Konfliktfähigkeit, Wissen, wo es lang geht, Orientierung am Puls der einfachen Menschen. Und deswegen hat die Initiative „das Freibad am See“ diesen Preis verdient. Natürlich frage ich mich, warum ausgerechnet ich gebeten wurde, die heutige Laudatio zu halten. Kenne Wetter. Bin selbst hier schon geradelt. Sportminister. Jetzt Generaldirektor. Wer heute an Sport denkt, denkt zumeist an Doping, Spitzensport, Olympische Spiele – und natürlich Bundesliga-Fußball. In Wahrheit ist Sport viel mehr. Der Sport ist, um es mit Johannes Rau zu sagen, der „Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält“. In den Verbänden des DOSB sind fast ein Drittel aller Deutschen organisiert. Und was vielleicht noch wichtiger ist: über sechs Millionen engagieren sich ehrenamtlich, die meisten regelmäßig, andere bei Bedarf. Sie leisten Arbeit für unsere Gesellschaft. Lassen Sie mich nur zwei Beispiele nennen: Integration und Gesundheit. Fit statt Fett. Ohne Sport wird kein Fetter fit. Damit gerade Kinder und Jugendliche Sport treiben können, braucht es Räume, Bolzplätze, Freiräume. Und für das Schwimmen braucht es Bäder. Erschreckend, wie viele Menschen immer noch nicht schwimmen können. Schwimmen ist ein sozialer Sport. In der Badehose sind auch ungleich gleich. Für das Schwimmen begeistern sich Reiche und Arme, Dicke und Dünne, Frauen und Männer, Intellektuelle und Hartz IV Empfänger. Die vielfältigen Überhitzungen nicht nur des atmosphärischen Klimas machen solche Orte sozialer Abkühlung, die für alle zugänglich sind, langfristig noch notwendig. Viele Jugendliche haben hier Freude an sportlicher Bewegung bewusst erfahren, die sie später in den Vereins- und Leistungssport lockte. Auch Menschen, die in der Leistungsgesellschaft Schwierigkeiten haben, ihren (Arbeits-)Platz zu finden, können sich im Rahmen der Freibäder fit halten, auch für künftige mögliche Arbeitsstellen. Jury-Mitglied und Landtagsvizepräsident Oliver Keymis sprach in Zusammenhang mit Freibädern von „erhaltenswerten artenreichen Feuchtsoziotopen, in denen reich und arm, jung und alt, unterschiedlichste Nationalitäten und Geschmäcker sehr friedlich pulsierend miteinander verkehren. Sogar die Geschlechterquote stellt sich hier ohne Debatte her!“ Im Vorfeld recherchierte die Jury 35 Bäder, die von Trägervereinen betrieben werden. Einige Vereine arbeiteten schon vor dem ersten Weltkrieg und stammen oft aus der Arbeitersportbewegung. Die meisten Trägervereine bildeten sich in den letzten 20 Jahren, um aus Kostendruck von der Bäderschließung bedrohte Anlagen zu sichern. Fast alle arbeiten mehrheitlich ehrenamtlich und haben viel Ehrung verdient, Bergkamen-Heil, Marl, Haltern, Schwerte, Lünen-Brambauer und Unna waren in der engeren Wahl. Die Jury wählte einstimmig „Das Freibad am See“ in Wetter aus: Der Verein hat im letzten Jahr den Umbau zu einem Naturfreibad vorbildlich bewältigt, ohne den ursprünglichen Freibadcharme mit Rutschen und Springtürmen einzubüßen. Strandähnlich inszenierte Ufer wecken Urlaubsgefühle. Das kommt auch Familien, die sich keinen Strandurlaub leisten können, zugute. Die Kinderquote hat sichtlich zugenommen – Kinderwagenstaus sind ein Anblick von Hoffnung.

Ökologie und Ästhetik sind in Wetter kein Widerspruch. Die ökologische Wasseraufbereitung erfolgt mit einem „Neptunfilter“. Je nach Belastung wird eine genau abgemessene Menge Wasser in die Filteranlage gepumpt, in der Schichten aus Kies und Schilf als biologische Kläranlage wirken. Zurück ins Bad sprudelt das Wasser auf ästhetische Weise durch springbrunnenähnliche Berieselungsanlagen. Seit 2004 betreibt der Verein das Bad ehrenamtlich, trotzdem zieht sich die Gemeinde Wetter nicht vollständig aus der Verantwortung zurück, was in der aktuellen Bäderdiskussion nicht mehr überall selbstverständlich ist. Politik und Verwaltung sollte es zu denken geben, dass durch das ehrenamtliche Engagement, mehr Menschen bei weniger Zuschüssen ins Bad gehen. Wenn man mit Schallmessgeräten das Freude-Juchzen evaluieren würde, könnte man sicherlich feststellen, dass sich der Lustfaktor vervielfacht hat. Wetter hat schon Nachahmer gefunden: Dortmund plant das trocken gelegte „Froschloch“ zu einem Naturbad umzubauen. Pate dafür steht das „Freibad am See“ in Wetter.

Der gelungene Umbau hat auch das Städte-Netzwerk NRW überzeugt: In der Werkstattreihe „Bürgerbäder in NRW“ wird regelmäßig Wetter als gelungenes Projekt zur Übertragung eines Bades in Vereinshände vorgestellt. Nicht nur die Preisung durch die Stiftung hat Interessierte auch aus weiter entfernten Orten nach Wetter gelockt. Über das Interreg IIIB-Projekt Artery „Flusslandschaften der Zukunft“ wurden nicht nur EU-Mittel eingeworben, die eine Umbauzeit in nur 9 Monaten möglich machten. Auch andere europäische Kommunen wurden auf das „Modell Wetter“ aufmerksam. Seit Eröffnung des Ruhrtalradweges im vergangenen Jahr kommen meist zufällig immer mehr Touristen am Bad vorbeigeradelt und finden einen schönen Pausenverweilort. Historisch interessant wäre es, die Flussbadekultur einmal aufzuarbeiten, die im Ruhrgebiet in den 50er Jahren ein Ende fand. Vielleicht ist das in einem Seitenstrang des Programms der Kulturhauptstadt Ruhr-2010 möglich. Denn eine Erschließung der Freizeit- und Sportkultur des Reviers würde nicht nur die touristische Verweildauer erhöhen. Bei der offiziellen Eröffnung Ende April dieses Jahres trank der Architekt ein Glas reines Beckenwasser auf die Zukunft. In Zeiten von Altlastenfunden im Ruhrwasser (und Dopingresten in mancher Sportlerprobe) ist das ein hoffnungsvolles Zeichen. Bewegung nur mit positiven Nebenwirkungen wird hier in Wetter gelebt und das auf so anmutige Art, dass das Beispiel Schule machen wird. Ein paar Worte noch zur Rolle der DLRG als starker Säule im Trägerverein sollten nicht fehlen. Diese breite Basis, die Schwimmen an vielen Orten in unserem Lande absichert und damit erst möglich macht, spielt sich selten in den Vordergrund. Sie verhüten auch im ge-samten Ruhrtal Badeunfälle von der Möhne bis Duisburg, mit ihrem Engagement hier in Wetter, sichern sie aber auch das Schwimmen lernen für Kinder und Jugendliche. Am Beispiel des Wetteraner Vorsitzenden und Vorbildes Torsten Göse muss man sehen und schätzen, dass er vor DLRG- und Badarbeit selbst kaum noch zum Schwimmen kommt. Deshalb sollte mit der Ehrung der Ehrenamtlichen auch ein Ruf verbunden sein, sich breiter auch in solchem Breitensport ehrenamtlich zu engagieren. Geteilte Arbeit ist halbe Last und mehrfache Lust. Ehrenamt als Mannschaftssport sichert die Zukunft des Leistungssports und unseres sozialen Lebens, nicht nur in Wetter. Und Torsten Göse und seinem Team ist es zu gönnen, dass sie in ihrem Bad in ihrem Wetter nicht nur lebendig alt werden, sondern sich dabei in Muskeln, Kopf und Seele fit halten. Am Schreibtisch, mit der Harke und im Becken. Das Objekt „Der Heinrich“, das den Preisträgern überreicht wird, wurde vom bekannten Beuys-Schüler Felix Droese geschaffen. Passend zum Thema spielt eine Gießkanne darin eine zentrale Rolle.