Ein gesellschaftlicher Gottesdienst an der Ökonomisierung

Eine radikale Ökonomisierung des ganzen Lebens findet nach wie vor statt. Ökonomische Kriterien sind die, die zählen, ob es um Kirche, Frauenzeitschriften, Literatur, Behörden, Handwerk, Liebe, Familie, Gesundheit oder die Produktion von Lebensmitteln geht. Dabei handelt es sich oftmals um eine Scheinargumentation, es ist nicht immer das effizienteste, billigste, das sich durchsetzt. Es ist eben unser Gottesdienst, den wir heute immer noch trotz Finanz- und Schuldenkrisen vollziehen, unsere Glaubensausrichtung, die staatlicherseits nach wie vor mit wirtschaftspolitischen Instrumenten der Privatisierung, Deregulierung und dem Abbau von Sozialleistungen ihren Ausdruck findet und eine Gefährdung des Allgemeinwohls darstellt. Die Finanzkrise von 2008 hat nicht nur die Grenzen des dahinterliegenden Finanzsystems, sondern auch die des politischen Systems gezeigt. Was im ersten Blick absurd wirkt, nämlich so weiterzumachen, die Bürger ihrer Gegenwart und Zukunft zu enteignen, und die Finanzaristrokratie vermeintlich zu stabilisieren, erzählt auf den zweiten Blick nur noch von Herrschafts- und Machträumen. Auch die Schuldenkrisen der letzten beiden Jahre bewirken keineswegs ein Umdenken, weg von der neoliberalen Austeritätsagenda.

Wir geraten immer mehr in Schuldendemokratien und in ein Schuldenstaatendasein hinein, die Rede von der europäischen Postdemokratie macht die Runde und es stellt sich die Frage: Wieviel politisches Handeln ist da überhaupt noch möglich? Umso mehr regt sich die Zivilgesellschaft. Protestbewegungen, Occupy, Stuttgart 21, Gorleben, Antigentrifzierungsproteste in den Städten, Asylcamps. Doch deren Handeln bleibt oft ambivalent, verstrickt und vage. Sind sie überhaupt Handelnde im klassischen Sinn, muss ich mich als Theaterautorin fragen? Passen sie auf die Bühne? Ja, natürlich, und nein, vielleicht doch nicht. Manchmal arbeiten sie unbeabsichtigt anderen Interessen zu oder gerinnen sofort zum leergelaufenen Klischee. Aber wenn es stimmt, was David Graeber in einem Interview auf Deutschlandfunk gesagt hat, dass gegenwärtig ein Krieg gegen die Vorstellungskraft stattfindet und es verboten ist, überhaupt an Alternativen zu denken, dann wäre dies einer der Ansatz- und Hebelpunkte meiner Arbeit.