Die berufliche Bildung der Zukunft

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Herausforderungen und Reformansätze

Die berufliche Bildung in Deutschland ist reformbedürftig. Rund 15% aller Jugendlichen zwischen 25 und 30 Jahren bleiben ohne abgeschlossene Berufsausbildung. 40% aller Jugendlichen, die heute eine Ausbildung anstreben, landen zumindest vorübergehend in einer Maßnahme, die zu keinem qualifizierten Ausbildungsabschluss führt.

Für viele zieht sich das Warten auf einen Ausbildungsplatz in die Länge. Für andere erweisen sich die Maßnahmen, die anstelle regulärer Ausbildungsplätze angeboten werden, häufig als Sackgassen, die nicht anschlussfähig sind. Insbesondere für die Jugendlichen, die mit nicht ausreichender Schulbildung und sozialen und persönlichen Problemlagen die allgemeinbildende Schule verlassen, finden kaum Angebote, die ihnen den Anschluss an eine Ausbildung ermöglichen.

Das sogenannte Übergangssystem wächst, weil das duale System aus unterschiedlichen Gründen immer weniger in der Lage ist, den Großteil der Jugendlichen aus der Sekundarstufe I in eine berufliche Ausbildung zu integrieren. Auch deshalb wird das wegen seiner engen Anbindung an die berufliche Praxis in den Unternehmen vielfach gelobte deutsche System der dualen Berufsausbildung vermehrt in Frage gestellt.

Ein zweites Problem findet sich am „anderen Ende“ des Berufsbildungssystems und ist weniger augenscheinlich. Von denjenigen, die das Berufsbildungssystem erfolgreich durchlaufen haben, schaffen es heute viel zu wenige an eine Hochschule.

In dieser Krise erweist sich ein weiteres Mal, in welchem Maße das Bildungssystem insgesamt zu einem Problem geworden ist. Es ist sozial ungerecht und droht zudem immer mehr zu einer Bremse für die Entwicklung zu einer postindustriellen Wissensgesellschaft zu werden. Eine zentrale Ursache ist das doppelte Bildungsschisma (Baethge) mit seiner Trennung der allgemeinen Bildung in Haupt- und Realschulen und Gymnasien einerseits und der Berufsbildung in eine betriebsgeprägte mittlere Ausbildung und die Hochschulbildung andererseits. Diese strikte Trennung von praktischer und höherer, theoriegeleiteter Bildung ist in der Wissensgesellschaft nicht mehr zeitgemäß.

Es besteht also dringender Reformbedarf. Gleichzeitig ist die berufliche Bildung aus zwei Gründen ein sperriger Gegenstand für die Politik. Zum einen fehlt der „politischen Klasse“ in der Regel der persönliche Zugang zum Thema; ganz anders als bei Fragen, die Schule oder Hochschule betreffen, die den meisten aus eigener Anschauung oder der ihrer Kinder besser bekannt sind.

Zum anderen sind im Berufsbildungssystem die Zuständigkeiten und gesetzlichen Grundlagen so stark fragmentiert, wie in kaum einem anderen Politikfeld. Die Bundespolitik setzt das Recht für die betriebliche Ausbildung, die Landespolitik regelt die beruflichen Schulen. Auch ist die Palette der an beruflicher Bildung beteiligten Akteure im deutschen Korporatismus sehr breit: Kammern, Betriebe, die Bundesagentur für Arbeit, die Kommunen, verschiedene Ministerien auf Bundes- und Landesebene. Sie alle agieren teilweise mit jeweils eigener Logik und auf der Grundlage verschiedener gesetzlicher Regelungen.

Das Berufsbildungssystem muss mehr Einstiege bieten für diejenigen, die heute nicht in die berufliche Bildung finden und es muss mehr Aufstiegschancen bieten für diejenigen, die auch ohne Hochschulzugangsberechtigung nach der beruflichen eine akademische Qualifizierung anstreben. Das System insgesamt muss durchlässiger werden, das Prinzip gelten, dass kein Qualifizierungsschritt ohne anrechenbaren Abschluss bleibt und neue Hochschulzugänge neben dem Abitur müssen eröffnet werden. Das ist ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft, vor allem aber auch eines der Gerechtigkeit. Individuen müssen faire Aufstiegschancen ermöglicht und strukturelle Blockaden müssen auflöst werden, die zu sozialen Benachteiligung führen.

Der vorliegende Band greift damit die Perspektive der Empfehlung „Bildungsgerechtigkeit im Lebenslauf“ der Schulkommission der Heinrich-Böll-Stiftung (Schriftenreihe Band 3) auf. Er versammelt Beiträge, von denen die meisten in zwei Workshops der Heinrich-Böll-Stiftung NRW im Winter 2009/2010 in Düsseldorf zur Diskussion gestellt wurden. Sie umreißen Probleme und Herausforderungen des beruflichen Bildungssystems und stellen neue Modelle der beruflichen Bildung und Reformen für das Berufsbildungssystem vor.

Berlin im Dezember 2010

Dr. Maria Icking, Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung Nordrhein-Westfalen
Stephan Ertner, Referent Bildung und Wissenschaft, Heinrich-Böll-Stiftung

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