Zwischen Legitimationsdruck und Digitalisierung: Wie wandelt sich die Verantwortung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?

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v.l.: Prof. Elmar Brähler, Martin Giesler, Jörg Schönenborn, Prof. Ute Holl und Ulrike Winkelmann.

„Wir brauchen Vertrauen in die Medien: In Zeiten populistischer Meinungsmache und fake news ist dies wichtiger denn je!“ Mit diesen Worten eröffnete Iris Witt, Geschäftsführerin der Heinrich-Böll-Stiftung NRW ein Podiumsgespräch, das sich rund um das Thema Medienwandel drehte. Unter dem Titel „Wirklich wahr...? Wie sichern Medien ihre Glaubwürdigkeit?“ und in Kooperation mit der Otto-Brenner-Stiftung fand es am 13. November im Palais Wittgenstein Düsseldorf statt. Im Fokus stand die Frage nach der Vertrauenswürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – gerade im digital-medialen Wandel. Moderiert von der Journalistin Ulrike Winkelmann diskutierten der Medienpsychologe Prof. Elmar Brähler, der Journalist und Blogger Martin Giesler, die Medienwissenschaftlerin Prof. Ute Holl und Jörg Schönenborn, Fernsehdirektor des WDR.

Studie: Legitimation und Vertrauen – Wer nutzt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk?

Eine Grundlage für die Diskussion bot Prof. Elmar Brähler vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig. Anschließend an die „Mitte-Studie 2016“ untersuchte er im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung mediales Nutzungsverhalten und Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Befragten der Studie: Ein Querschnitt der gesamtdeutschen Bevölkerung im Alter von 14 -93 Jahren. In den Ergebnissen stellt sich heraus, dass die öffentlich-rechtlichen Medien bei rund 60 Prozent der Befragten gemeinsam mit Tageszeitungen (54 Prozent) als wichtigste Bezugsquelle für Informationen über das politische Geschehen dienen. Knapp 33 Prozent nennen das Internet, 19 Prozent den privaten Rundfunk und lediglich rund 5 Prozent beziehen ihre politischen Informationen aus der Boulevardpresse. Ebenso wird deutlich, dass Befragte, die zur Gruppe der sozial und/oder politisch Deprivierten zählen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk am wenigsten nutzen. Ähnlich geringe Werte zeigen sich bei demokratiekritisch bzw. –feindlich eingestellten Befragten. Ein signifikanter Unterschied lässt sich bei der Nutzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit Blick auf die Parteienpräferenz erkennen: So geben mehr als 60 Prozent der Anhänger*innen der etablierten Parteien (CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/ Die Grünen, FDP und Die Linke) an, dass sie die öffentlich-rechtliche Medien nutzen, wohingegen nur 44 Prozent der Anhänger*innen der AfD diese Medienangebote wahrnehmen. Neben dem Nutzverhalten wird vor allem eins deutlich: Die Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks korreliert laut Untersuchung auch mit der Parteipräferenz der Befragten. So halten beispielsweise nur rund 25 Prozent der AfD-Anhänger*innen diese für glaubwürdig. Bei befragten Nichtwähler*innen liegt dieser Wert bei knapp 40 Prozent.

Stichwort „Lügenpresse“: Trotz dieser Zahlen gebe es keinen Grund für die Annahme, dass das generelle Medienvertrauen in Deutschland abgenommen habe, so Brähler. Mit einem Verweis auf eine Langzeitstudie (Allensbach et. al), die die medialen Vertrauenswerte von 1990 – 2015 gemessen hat, könne kaum von einem deutlich steigenden Trend von Medienverdrossenheit die Rede sein.

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Der gesellschaftliche Auftrag wächst

Hat sich die Medienwahrnehmung polarisiert bzw. radikalisiert, wie  es der Titel der obs-Studie nahelegt? Brähler entgegnet, dass diese Wahrnehmung erst durch fehlende Einordnung entstehe: „Tatsächlich gibt es soziale Milieus, in denen beispielsweise die Gewaltbereitschaft gestiegen ist. Aber genauso findet in anderen Milieus eine höhere Ablehnung dieser statt – ins öffentliche Auge fallen dabei meistens nur die Negativ-Entwicklungen.“

Für Jörg Schönenborn, Fernsehdirektor des WDR, liege die gesellschaftliche Herausforderung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks allerdings nicht vorrangig darin, den  polarisierten und radikalisierten Teil anzusprechen, sondern im Abholen der heterogenen „skeptischen Mitte“. Denn im Kern bestehe der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Medien darin, gesellschaftlichen Meinungsaustauschzu beförern und Gesellschaft dadurch auch zusammenzuhalten. Dieser Auftrag werde mit Blick auf das globale Veränderungstempo und dadurch geschürte Ängste immer dringender. Es helfe nicht, Bedenken zu begegnen, indem man sie für irrational erkläre: „Medien müssen die Verschmälerung der Meinungsbreite und Selbstbespiegelung gewisser Gesellschaftsteile ablegen“, so Schönenborn.

Die Medienwissenschaftlerin und -ästhetin Prof. Ute Holl, Universität Basel, sieht die Wichtigkeit ebenso in einer Öffnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, um mehr Teilnahme zu ermöglichen. Die Frage nach Glaubwürdigkeit sei für sie mindestens sekundär, eher gehe es um kritische Nutzerkompetenz. Wichtig findet sie, mediale Nutzungsstrukturen als Ausgangspunkt für Analysen zu nehmen. Sie sieht auf der einen Seite die traditionellen, repräsentativen Sendemedien, zu denen ein Großteil der Öffentlich-Rechtlichen gehört. Diesen stünden vor allem soziale Medien entgegen, die besonders bei der Gruppe der 14 – 29-jährigen innerhalb peer-to-peer-Strukturen als Partizipationsplattformen genutzt werden. Zukunftsfähig erstarken könne der öffentlich-rechtliche Rundfunk nur, wenn er sich diesen Entwicklungen eingliedere – beispielsweise durch „hybride“ Strukturen wie sendungsbegleitende Diskussionsforen, die einen möglichst breiten Gesellschaftsteil ansprechen. "Die zwei großen Aufgaben sind es, Öffentlichkeit zu einem moderierten Ort des Dissenses zu machen - und Räume zu schaffen, in denen sich auch die sozial Deprivierten melden können.“

Zwischen fake news und Lügenpresse – welchen Anteil tragen soziale Netzwerke an politischer Meinungsmache?

Mit Blick auf Informationsvermittlung liegt der Grundfunktion sozialer Netzwerke eine simple Logik zu Grunde, sagt Martin Giesler: „Facebook hat kein Interesse daran, dass Leute schlauer werden, sondern daran, dass Menschen maximal viel Zeit auf der Plattform verbringen.“ Wenn nun das Smartphone samt sozialer Apps zum alles dominierenden Werkzeug avanciert, um Informationen zu konsumieren, führt das die Nutzer*innen nicht in ein „freies“ Internet, sondern in ein begrenztes „Internet im Internet” - mit entsprechend limitierten Möglichkeiten, wertfreie Informationsinhalte zu erhalten.

Auch die oftmals geäußerte Behauptung, soziale Netzwerke hätten dem Rechtspopulismus Auftrieb gegeben, relativiert der Journalist und Blogger: Plattformen bieten die Möglichkeit, sich lautstark zu äußern, gleich welcher politischer Gesinnung zugehörig. Dies führt zu einer anderen Wahrnehmung von Öffentlichkeit und zu neuen Möglichkeiten, Themen zu setzen. „Bestimmte Debatten werden nicht mehr aufgrund ihrer tatsächlichen journalistischen Relevanz in den Medienbetrieb aufgenommen, sondern wegen ihrer viralen Wirkungskraft.“ Gerade deswegen sei es wichtig, dass die öffentlich-rechtlichen Medienmacher*innen das Thema Medienkompetenz adressieren und nicht versuchen, dem digitalen Wandel durch eine Rückbesinnung auf massentaugliche Inhaltsgestaltung auszuweichen. Als positives Beispiel steht für ihn das Format „funk“, der an ein junges Publikum gerichtete Web-Auftritt von ZDF/ARD.

Der Wandel steht an - und jetzt?

Analytisch und selbstkritisch formulierte Schönenborn drei Punkte, die dazu führen sollen, dieser digitalen und gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden. Zum einen brauche der Journalismus eine Debatte um seine Fehlerkultur. Ein nachlässiger Umgang mit wichtigen Details habe in den vergangenen Jahren zu einer Bequemlichkeit geführt, die es aufzubrechen gelte. Zudem fordere Schönenborn eine deutlichere Trennung von Meinung und Bericht.  Öffentlich-rechtliche Medienmacher*innen können nicht in einem „Habitus der moralischen Überheblichkeit“ berichten. Dazu zählt für ihn auch: „Nachrichten sollten frei sein von wertenden Attributen wie beispielsweise auch ‚rechtspopulistisch’ als Beschreibung für die AfD“ – wohlgemerkt: in der Berichterstattung; anders agieren können die Sparten Meinung/ Analyse. Als Letztes sehe er eine höhere Meinungsbreite im Programm als Schlüssel zur Akzeptanz. Sein Ziel: Eine Programmgestaltung, die potenziell alle Teile der Gesellschaft erreichen kann. Er warnte dennoch vor einer zu starken Erwartung in Richtung direktdemokratischer Bestimmung der Medieninhalte: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk dürfe und müsse als Meinungsplattform für breitere und spezifischere Angebote fungieren, die allerdings weiterhin durch eigene redaktionelle Inhalte der Programmmacher*innen redigiert werden sollte.

Martin Giesler ergänzte: Meinungspluralität beginne bereits in der medienschaffenden Redaktion, so dass auch hier eine höhere Diversität jenseits strikter Personalstrukturen gefördert werden müsse.

In einer abschließenden Publikumsrunde wurde deutlich: Die Diskussion um den Strukturwandel von Öffentlichkeit ist kein Nischenthema. Der Legitimationsdruck des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zeigt die Aktualität des gesellschaftlichen Begehrens nach medialer Transparenz und einer seriösen hohen Informationsvielfalt.

 

 

Tipp: Mehr zum Thema "Wandel öffentlich-rechtlicher Medien" gibt es hier im Dossier der Bundesstiftung.